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Menschen allesamt
Tegernsee. Obere Hanglage, Traumblick. Es ist sechs Uhr morgens. Der Ehrenpräsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, ist seit drei Stunden wach. Möglichst leise, um seine Frau nicht zu wecken, geht er nach unten ins Wohnzimmer. Unter seinem Morgenmantel ist er nackt, den schweißnassen Pyjama hat er oben im Bad ausgezogen. Er fühlt sich unfassbar schlecht. Staubtrockener Mund, tonnenschwere Augenlider, sein schnell schlagendes Herz pumpt mit viel zu viel Druck das cholesterinübersättigte, dickflüssige Blut durch die engen, prallen Adern in die abgelegenen Winkel seines massiven, alten Körpers.
In der Küche lässt Hoeneß sich auf einen Stuhl fallen. Die Nacht hat ihm so sehr zugesetzt, dass er es jetzt nicht mal mehr schafft, sich noch kurz ein Glas Wasser zu holen. Um drei ist er hochgeschreckt, wie so oft, er kennt das schon, plötzlich keine Luft mehr, Todesangst, unkontrolliertes Wimmern. Es ebbt immer nach ungefähr einer Minute ab, aber die Nacht ist dann gelaufen. Seine Susi will er nicht mehr aufwecken, die hat er schon so oft um den Schlaf gebracht. Ein Blick in ihr ruhiges Gesicht, und er weiß, was für ein Glück er immer schon gehabt hat.
Draußen füllt der Morgennebel das Tal wie Stickstoff. Hoeneß verspürt ein ungeheures Verlangen, die Balkontür zu öffnen und barfuß rauszugehen, kurz den nassen Rasen unter den Füßen zu spüren, ein bisschen frische Luft ins Gesicht zu bekommen. Aber er kommt nicht aus seinem Stuhl hoch. Er spürt die Präsenz seines Bauchs. Manchmal steht er nackt vor dem Spiegel und packt den Bauch mit beiden Händen. In diesen Momenten hasst er sich. Andererseits: Sein Körper ist ein Gravitationsfeld der Macht, er ist das fleischige, magnetische Zentrum des größten deutschen Fußballvereins, dieser unendlich komplizierten, trotzdem perfekt laufenden, organischen Maschine FC Bayern München.
Kurzgeschichte